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Wolfgang-Andreas Schultz

Was mir die Aeolsharfe erzählt

Eine Fantasie für Streicherensemble (2004)

Besetzung:

10

Violinen (ohne Aufteilung in erste und zweite)

 

4

Violen

 

3

Violoncelli

 

1

Kontrabaß

Die Aeolsharfe verzauberte mit ihren Klängen die Gärten der Romantiker. Der Wind wird über mehrere, aber auf denselben Ton gestimmte Saiten gelenkt und entlockt ihnen Obertöne, die unteren harmonischen und die oberen dissonanteren, je nach Windstärke, ganz unregelmäßig und nicht voraussehbar, mal tritt der eine Oberton stärker hervor, mal andere, ein zauberisch-absichtsloses Spiel des Windes, das der Natur eine Stimme verleiht.

Die Fantasie der Menschen ließ die Aeolsharfe auch Geschichten erzählen, wie etwa die Klage um den jung verstorbenen Bruder in Eduard Mörikes Gedicht:

An eine Aeolsharfe

Angelehnt an die Efeuwand
Dieser alten Terrasse,
Du, einer luftgebornen Muse
Geheimnisvolles Saitenspiel,
Fang an,
Fange wieder an
Deine melodische Klage!

Ihr kommet, Winde, fern herüber,
Ach! von des Knaben,
Der mir so lieb war,
Frisch grünendem Hügel.
Und Frühlingsblüten unterwegs streifend,
Übersättigt mit Wohlgerüchen,
Wie süß bedrängt ihr dies Herz!
Und säuselt her in die Saiten,
Angezogen von wohllautender Wehmut,
Wachsend im Zug meiner Sehnsucht,
Und hinsterbend wieder.

Aber auf einmal,
Wie der Wind heftiger herstößt,
Ein holder Schrei der Harfe
Wiederholt, mir zu süßem Erschrecken,
Meiner Seele plötzliche Regung;
Und hier - die volle Rose streut, geschüttelt,
All ihre Blätter vor meine Füße!

So entsteht aus dem Klang der Aeolsharfe die Totenklage der Solo-Violine, eingefügt sind Erinnerungen, alles immer wieder zurückgenommen in die Klänge der Natur.